Der Finanzbereich ist der Schaltraum im Unternehmen. Hier laufen alle Geschäftsprozesse zusammen, die die Belegschaft direkt betreffen. Wie sich das Geschäft entwickelt, wird hier meist zuerst sichtbar. Gerade aus diesem Grund sind Expertinnen und Experten für diese wichtige Gelenkstelle rar gesät. Ein attraktives Gehalt reicht da längst nicht mehr aus, wissen Emine Yilmaz, Vice President Permanent Placement Operations Germany, France and Switzerland bei Robert Half, und Vanessa Sproedt-Graef, Managing Director Region Mitte bei Robert Half.
Wie Sie neue Mitarbeiter im Finanz- und Rechnungswesen für sich gewinnen:
Karl Kraus hat seine gesamte berufliche Karriere bei einem Mittelständler im Controlling zugebracht. Zu Beginn seiner Karriere war er mit kleineren Zuarbeiten betraut worden, durfte bei Monats- und Jahresabschlüssen unterstützen. Mit den Jahren im Beruf wuchsen nicht nur der Verantwortungsbereich und das Gehalt, auch das Ansehen von Kraus im Unternehmen wuchs. Karl Kraus war zufrieden – bis er im Juli 2022 bei einer Geburtstagsfeier auf einen alten Bekannten aus dem Studium traf. Mehr als zehn Jahre hatten sie nicht gesprochen. Der Freund erzählte ihm, dass er eine attraktive Stelle im Controlling bei einem grossen börsennotierten Versicherer habe.
Die Strukturen seien zwar sehr eng gesetzt, der Aufstieg gehe sehr viel langsamer vonstatten als bei Kraus. Dafür war er schon für ein Jahr im Secondment in den USA, hat einen Zuschuss zur Homeoffice-Ausstattung in der Corona-Zeit bekommen und Essensgutscheine gebe es sowieso unternehmensweit. Karl Kraus ist gleichermassen verblüfft, begeistert und wechselt zum Januar 2023 ebenfalls zum Versicherer.
Für den Mittelständler klafft seit Kraus' Wechsel eine grosse und nicht minder schmerzhafte Lücke. Die Seniorität, die Kraus mitbrachte, fehlt. Das Unternehmen braucht mindestens vier Monate, um in dem engen Arbeitsmarkt überhaupt einen Controller zu finden, einen mit langjähriger Erfahrung ist de facto nicht am Markt verfügbar.
So oder so ähnlich geht es vielen Unternehmen, vor allem aus dem Mittelstand. Ein wesentlicher Treiber dessen ist das neue Selbstverständnis von Arbeitnehmern. Das Gehalt bleibt die entscheidende Variable, um sich für einen Arbeitgeber zu entscheiden. Wenn allerdings der Gehaltsunterschied zwischen Stelle A und Stelle B nicht allzu eklatant hoch ist, greifen just dahinter die Zusatzleistungen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Versicherungsoptionen, die Mitarbeitenden angeboten werden und zur Verfügung stehen. Mitunter haben kleine und mittlere Unternehmen (KMU) hier das Nachsehen im Gegensatz zu grossen Konzernen, die sich ganze Abteilungen leisten, die Weiterbildungsmöglichkeiten schaffen und durch Niederlassungen im Ausland auch eine Entsendung einfacher initiieren können. Diesen vermeintlichen Nachteil können Mittelständler durch smarte Angebote allerdings ein Stück weit egalisieren.
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Seit Jahrzehnten gibt es Zusatzleistungen in Unternehmen. Laut unserer Gehaltsübersicht 2024 hat beispielsweise jeder dritte Mitarbeitende im Finanzbereich ein Firmenhandy sowie eine betriebliche Altersvorsorge, fast jeder zweite hat bereits einen vereinbarten Jahresbonus. Diese Zusatzleistungen gehören mittlerweile zum Standardangebot von Unternehmen. Im zunehmenden Werben um die besten Talente rücken allerdings neue Zusatzleistungen in den Fokus. Die Mitarbeitenden im Finanzbereich haben ganz klare Vorstellungen davon, welche Leistungen sie künftig gern von Arbeitgebern hätten. Neben Fahrtkostenzuschüssen und Essensgutscheinen sind dies vor allem finanzielle Zuschüsse für Homeoffice-Ausstattungen.
Auch in Sachen Weiterbildung haben Arbeitnehmende im Finanzbereich klare Vorstellungen davon, was sie von einem attraktiven Arbeitgeber erwarten. Hier zeigt sich ein interessantes Bild. 9 von 10 Unternehmen (90 %) bieten innerbetriebliche Weiterbildungen heute bereits an, von den Experten im Haus wird das allerdings in entsprechender Form nicht goutiert. Nicht einmal jede zweite Person (41 %) fragt dies bei Arbeitgebern nach. Lieber wollen Arbeitnehmende in andere Abteilungen (68 %), an andere Standorte in anderen Ländern des Unternehmens (76 %) oder gar zum Kunden (73 %) für eine bestimmte Zeit entsendet werden, um dort wertvolle Einblicke zu erlangen, die sie beruflich weiterbringen.
Hier haben Konzerne oft Kapazitätsvorteile, weil sie oft über das operative Geschäft auch unterschiedliche Standorte weltweit unterhalten. Gerade KMU können in Bezug auf die Entsendung zum Kunden sogar bestehende Geschäftsbeziehungen zu diesen und Zulieferern festigen, indem sie Mitarbeitende für eine Zeit überstellen. Wichtig ist hier nur, wie die fehlende Ressource aufgefangen wird. Denkbar wären Modelle, in denen die Arbeitnehmenden ein flexibles unterjähriges Arbeitszeitkonto haben, in dem sie alle fünf Jahre vier bis acht Wochen diese Form der Weiterbildung bei voller Lohnfortzahlung in Anspruch nehmen können.
Die KMU müssen beispielsweise im Gegenzug sicherstellen, dass genug Arbeitskraft in der sogenannten „Busy Season“ oder bei übernatürlich hoher Arbeitsbelastung zur Verfügung steht – ein möglicher Weg ist das kurzfristige Verfügbarmachen zusätzlicher Kolleginnen und Kollegen über projektbasierte und zeitlich befristete Anstellungen. Das reicht von hinlänglich bekannter temporärer Arbeit bis hin zu Interim-Management, um beispielsweise auch dem Fortbildungswunsch von Führungskräften entsprechen zu können.
Mehr als jeder zweite Mitarbeitende (61 %) wünscht sich von seinem Arbeitgeber, dass dieser Budgets für externe Weiterbildungs- und Entwicklungsprogramme bereitstellt. Kleine Unternehmen haben diese Budgets oft nicht vorgesehen, weil das Geschäftsergebnis dies skaliert – also unternehmensweit ausgerollt – schier verunmöglicht. Allerdings können diese Unternehmen hier vom Sales-Ansatz vieler Unternehmen, vor allem aus dem Tech-Bereich, profitieren. Steigt das KMU beispielsweise gerade auf Cloud um, weil Geschäftsprozesse verschlankt werden müssen und Ressourcen geschont, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass der jeweilige Anbieter entsprechende Fortbildungsprogramme zur Verfügung stellt. Die Absichten sind ganz unterschiedlich, aber sehr verständlich. Je stärker ein Unternehmen auf die Lösung eines Anbieters setzt, umso wahrscheinlicher wird eine jahrelange Partnerschaft.
Hinzu kommt, dass die Workforce Transformation in vollem Gange ist. Viele Kandidaten kommen mit entsprechenden Grundfertigkeiten, aber die erforderlichen Hard und Technical Skills fehlen oder werden auf dem traditionellen Bildungsweg bislang nur unzureichend behandelt. Aus diesem Grund sind vor allem IT-Konzerne dazu übergegangen, die benötigten Fertigkeiten kurzerhand einfach selbst zu vermitteln.
Microsoft, Google und Amazon geben regelmässig Zertifizierungskurse wie AZ900 für die Microsoft Azure Fundamentals oder die AWS Certification für die Cloud von Amazon. Auch im SAP-Umfeld sind die Angebote immens und weit gefächert. Das Hasso-Plattner-Institut beispielsweise bietet openHPI-Kurse zu brandaktuellen Themen wie Künstlicher Intelligenz (KI), Machine Learning und Data Science günstig oder gar kostenlos an.
Neben den genannten Zusatzleistungen werden auch Versicherungen immer interessanter. Für Arbeitnehmende bedeuten sie oft konkrete finanzielle Entlastungen, weil die Leistungen, die sie darüber in Anspruch nehmen, nicht durch den Nettolohn beglichen werden müssen. Die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden und die Angebote der Arbeitgebenden sind hier ganz unterschiedlich und mitunter auch kreativ.
Stark nachgefragt sind Leistungen wie Berufsunfähigkeitsversicherungen (49 %) oder auch Krankenhauszusatzversicherungen (56 %). Auch die private Altersvorsorge (49 %) wird von Arbeitnehmenden stark nachgefragt. Ein interessanter Aspekt: Während bei den genannten Versicherungen bereits fast jede zweite Person ein Angebotsbedürfnis signalisiert, hinken viele Arbeitgebende mit einem entsprechenden Angebot noch hinterher.
Gerade einmal jedes dritte Unternehmen bietet im Durchschnitt die eine oder andere Leistung an. Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung sind es 54 Prozent der von Robert Half für die Gehaltsübersicht 2024 befragten Unternehmen. Bei der privaten Krankenversicherung ist es jedes zweite Unternehmen (50 %).
Gerade in den bekannten Versicherungszweigen können Arbeitgebende am eigenen Angebotsportfolio arbeiten und entsprechende Angebote schaffen. Wir sehen, dass das Bedürfnis nach Absicherung im Schadenfall zugenommen hat. Tendenziell wird die Nachfrage nach Leistungen dieser Art weiter steigen, vor allem dann, wenn beispielsweise Kassenleistungen der gesetzlichen Krankenkasse weiter zurückgehen.
Arbeitgeber müssen also mittlerweile ganz neue Angebote für Fachkräfte machen, um als attraktiver Arbeitsplatz wahrgenommen zu werden. Neben den beschriebenen Zusatzleistungen, Weiterbildungsangeboten, Versicherungen und weiteren Anreizmodellen haben auch andere Variablen an Bedeutung gewonnen. Immer öfter fordern Arbeitnehmende die Einführung einer 4-Tage-Woche. Im Prinzip ist die Verkürzung der Wochenarbeitszeit ein weiterer Ausgestaltungspunkt für eine bessere Work-Life-Balance.
Im öffentlichen Diskurs wird immer wieder strikt zwischen Arbeits- und Freizeit unterschieden, was auch seine Berechtigung hat. Um jedoch nicht auf einen starren Ansatz zurückgreifen zu müssen und einen Arbeitstag pro Woche ersatzlos zu streichen, könnten smarte Modelle wie Jahresarbeitszeitkonten für Arbeitnehmende noch mehr Attraktivität bieten. So können auch Arbeitnehmende ihre Arbeit gezielter planen. Denn die Arbeitsbelastung wird durch eine 4-Tage-Woche nicht weniger, sie muss lediglich neu organisiert werden. Schliesslich geht es den Arbeitnehmenden heute auch immer öfter um ihre mentale Gesundheit (Mental Health), der arbeitsbedingter Stress oder Druck entgegenstehen. Mit mehr Flexibilität können Arbeitnehmende besser priorisieren und in bestimmten Zyklen für nötige Auszeiten sorgen.
Im Umkehrschluss sind die Anforderungen an Arbeitnehmende heute allerdings ebenfalls andere. Eine Fachkraft im Finanzbereich muss ein breiteres Repertoire an verschiedenen Fähigkeiten mitbringen. Wer diese Fähigkeiten nicht besitzt, wird auch in einem arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben, eine Anstellung zu finden. Zudem werden die Aufgabenstellungen für Arbeitnehmende generell komplexer. Diejenigen, die heute im Finanzbereich eines Unternehmens arbeiten, werden sich künftig auch mit regulatorischen Vorgaben wie ESG-Reporting oder der EU-Taxonomie auseinandersetzen müssen.
Gerade in diesen Bereichen benötigen Arbeitnehmende in den kommenden Jahren ein gezieltes Upskilling, um den Anforderungen gerecht zu werden. Auch hier können Unternehmen Unterstützungsleistungen anbieten, die im Umkehrschluss direkt einen positiven Einfluss auf die Attraktivität des Unternehmens haben.
Die Arbeitswelt in der Schweiz befindet sich in einem umfassenden Transformationsprozess. Arbeitnehmende wechseln heute sehr viel häufiger den Arbeitgeber als noch vor 20 oder 30 Jahren. Lebenslanges Lernen, Weiterbildungen und Entwicklungsprogramme, etwa zur Entwicklung von Führungskräften, erfreuen sich bereits heute grosser Beliebtheit. Dieses System der stetigen Weiterentwicklung wird zunehmend institutionalisiert. Da die Grundlagen vorhanden sind, das Fachwissen jedoch noch nicht in ausreichendem Masse an Universitäten und Fachhochschulen vermittelt wird, übernehmen viele Unternehmen diese Aufgabe selbst und schliessen so Lücken im Know-how-Transfer. Unternehmen, die diese Verantwortung nicht wahrnehmen, haben klare Nachteile hinsichtlich der Fähigkeiten ihrer Belegschaft. Die Sorge, dass versierte Mitarbeitende das Unternehmen verlassen, ist dadurch und durch den dynamisierten Arbeitsmarkt stark gestiegen.
Attraktive Arbeitgeber in der Schweiz entwickeln ihre Mitarbeitenden so weiter, dass diese auch auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mitarbeitender das Unternehmen aufgrund eines besseren Angebots verlässt, steigt sicherlich mit jeder Zertifizierung, die er erwirbt. Dass Mitarbeitende kündigen, gehört jedoch zur Erwerbsbiografie. Ein attraktiver Arbeitgeber sollte daher nach der Maxime vorgehen, seine Mitarbeitenden so gut weiterzubilden, dass sie viele Optionen auf dem Arbeitsmarkt hätten, sie jedoch im Gegenzug so gut zu behandeln, dass sie gar nicht wechseln wollen.
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